Wahrheit ist immer abhängig vom Kontext

 

Immer wieder höre ich, dass sich manche sicher und bestätigt fühlen, wenn sie in einer Yogastunde per Hand „korrigiert“ und in die „passende“ Yoga-Position geschoben werden.

Wenn die Yoga-Lehrerin oder der Yoga-Lehrer Hand anlegt und verschiedene Teile des Körpers in eine Richtung schiebt oder zieht, nennt man das „Korrektur“. Anders ausgedrückt, man übt eine Yoga-Position, diese scheint nicht „richtig“ dargestellt zu sein und daher hilft man hier manuell nach. Manchmal wird auch mit dem Bein gegen Körperteile gedrückt oder mit dem Fuß geschoben. Aber was ist richtig und wer sagt das?

Daher auch der Überbegriff „hands on“ – also Hand anlegen. Hands on kann aber auch nur ein leichtes Antippen sein, was auf den ersten Blick besser zu scheinen vermag.

Aber ist das wirklich so?

Hier darf auch immer bedacht werden, dass manche von uns vielleicht so gestrickt sind, dass sie in Yogapositionen über ihre Grenzen hinausgehen, etwas besonders toll oder richtig machen wollen, anderen gefallen wollen und evtl etwas forcieren, für das eben jetzt noch nicht die Zeit ist, der Körper nicht bereit ist.

In vielen (therapeutischen) Weiterbildungen, bei verschiedenen Lehrer:innen durfte ich lernen und erkennen, dass „hands on“ nicht der optimale Yoga-Weg ist. Ja sogar mitunter kontraproduktiv und teilweise auch gefährlich für die körperliche Gesundheit und in weiterer Folge auch für die mentale Gesundheit.

Warum?

  • körperlich, weil wir den Körper manuell ausbessern, wo er selbst noch nicht hinkann (könnte er von selbst, wäre er ja dort)
  • mental, weil wir so die Info bekommen, dass wir nicht „richtig“ wären, wie wir jetzt gerade sind

Keine Frage, es ist definitiv wichtig, dass die Yoga-Lehrerin oder der Yoga-Lehrer beobachtet wie wir uns bewegen. Auch ob sich evtl eine Bewegung einschleicht, die für den Körper (Gelenke, Gewebe,..) ungünstig ist. Wird das erkannt, kann mit dementsprechenden und passenden Anleitungen entgegenwirkt werden, also in die richtige Bewegungsabfolge geleitet werden. Oder auch gegebenenfalls bemerkt werden, dass diese Bewegung aktuell (noch) nicht passend für die Yogini, den Yogi ist und dann darauf aufmerksam gemacht werden.

Die Frage, die wir uns hier stellen dürfen, wäre:


kann ich mir selbst vertrauen und mich selbst ermächtigen, dass ich SELBST spüren kann, was für mich im Moment wichtig, richtig und passend ist? Oder möchte ich von außen, von jemanden anderen körperlich wo hingeschoben werden, was möglicherweise gegen meine Körper-Intelligenz ist und mir eventuell (unbewusst) Schaden zufügt?

Das soll nun nicht heißen, dass wir keine Hilfestellung benötigen. Diese kann und darf jedoch durchaus verbal mit passenden Anleitungen gegeben werden. Aber eben auf eine Art, wo wir selbst erspüren und erkennen und somit körperlich und mental integrieren können. Das ist Wachsen und Heilen mit Yoga.

 

 

Kleines Praxis-Beispiel aufrechter Sitz

Variante A

Stell dir vor, du bekommst die Anleitung: setzt dich gerade und aufrecht hin. Und damit du diese Position gut einnehmen kannst, „hilft“ dir jemand in diese Position zu kommen, indem dir von hinten mit ein wenig Druck die Wirbelsäule nach vorne geschoben wird. Spüre hin und stell dir das vor.

Variante B

Selbe gerade und aufrechte Position mit folgender Anleitung:

„setz dich aufrecht hin, so wie es dir im Moment möglich ist – spüre deine Sitzbeinhöker und pendle dich darauf für dich stimmig ein – ziehe den Bauchnabel leicht nach innen um Stabilität in deiner Mitte zu generieren – gehe mit der Aufmerksamkeit zum unteren Ende deiner Wirbelsäule – wandere nun Wirbel für Wirbel in Gedanken nach oben, durch die Lendenwirbelsäule, die Brustwirbelsäule, lass deine Schultern breit und tief sinken – wandere durch die Halswirbelsäule, lass deinen Kopf leicht werden und stell dir vor, dass dich am hinteren höchsten Punkt deines Kopfes ein dünner Faden sanft nach oben zieht. Nun gehe mit der Aufmerksamkeit zu deinen Schulterblättern (dort, wo Engelsflügel angemacht wären) und schiebe diese ganz behutsam nach vorne, so als wolltest du dein Herz leicht von hinten nach vorne schieben. Lass deinen Atem angenehm und leicht fließen… spüre ich dich in deiner wahren Größe“

Vergleiche nun beide Varianten.. und wähle selbst, welche du für dich bevorzugen würdest.

Auch keine Wahl ist eine Wahl – Wahrheit ist immer abhängig vom Kontext. Übst du Yoga um dich selbst zu ermächtigen, das Beste für dich und deinen Körper zu erlernen oder übst du Yoga, um anderen zu zeigen „wie weit du mit Druck, Leistung und harter (Körper-)Arbeit“ kommen kannst, indem du von außen korrigiert wirst.

Ein weiterer, nicht unerheblicher Kontext wäre, dass wir uns im Moment vielleicht etwas verloren fühlen, nicht angenommen fühlen… in diesem Fall kann es auch „heilend“ sein, berührt zu werden, das Gefühl haben, dass sich jemand „uns annimmt“, für uns da ist und uns unterstützt in eine vermeintlich richtige Ausrichtung zu kommen.

…wie immer im Leben… alles ist abhängig vom Kontext*.. (*Verknüpfung/Zusammenhang)

wähle und überprüfe dich selbst…